11. Zu den Christenverfolgungen

Das Christentum hatte einen Absolutheitsanspruch erhoben. Und dabei galt doch nach römischem Recht: Der Religionsstifter Jesus war als Staatsverbrecher gekreuzigt worden, so mußten seine Anhänger auch Staatsfeinde sein. So gab es denn auch den anderen Vorwurf: Die Christen verehrten nicht den Genius Roms und verweigerten damit die Beteiligung am Kaiserkult. Als sehr “schlimm” galt auch: Sie bewegten sich außerhalb der alten Tradition, hatten alte Bindungen verlassen und verkehrten ausschließlich in der christlichen Gemeinde. Dies wurde ihnen ausgelegt als Hochmut gegenüber den Heiden. Sie waren in den Augen ihrer Gegner bedeutungslose Bürger, die es wagten, so den bedeutenden und angesehenen Bürgern gegenüberzutreten. Für die Gebildeten in Rom waren die Christen eine ruchlose Verschwörerbande, Kannibalen (wegen ihres Abendmahles im Gottesdienst), die keine gelehrte Bildung hatten. Die Vorwürfe des “einfachen Volkes” waren massiver und von mehr Vorausurteil geprägt. Die Christen hatten ja nicht einen bilderlosen Gottesdienst, sie verehrten und beteten einen Menschen an, wobei das Gerücht umging, es wäre einer mit einem Eselskopf.

Dort, wo der Gottesdienst ganz ohne Bilder vonstatten ging, galt das als Gottlosigkeit, als Atheismus. Im Volk warf man den Christen auch vor, daß sie Kinder zu rituellen Zwecken schlachteten. Im Volk selbst gab es deshalb Pogrome (des Volkes Seele erhebt sich und entlädt sich zum Lynchmord) gegen die Christen. Man hatte auf die Christen übertragen, was man den Juden vorwarf. Diese Verfolgungen war nicht staatlich organisiert. Ein weiterer Vorwurf war die Idee, christliche Gottesdienste seien Orgien: Mann und Frau in einem Gottesdienst, sich auch noch mit einem Kuß begrüßend! Außerdem: die Christen feierten ein blutiges Abendmahl (Kannibalismus). Man warf ihnen vor, sie seien welt- und kulturfeindlich, kurzum: Odium generis humanum (Menschenverachter).

Im damaligen Strafrecht gab es kein Verbot des Christentums, dazu kam es erst im 3.Jahrhundert, in dem auch rechtlich gegen die Christen vorgegangen werden konnte. Da Verbrechen gegen die Staatsreligion nicht gesetzlich verfaßt waren, griffen die Gegner der Kirche zum Vorwurf der Verweigerung gegen den Staat, d.h. gegen den Kaiserkult. Dazu bemühte man das Institutum (1.Jahrhundert), das besagte, daß, wenn einem Menschen in einem Prozeß ein Verbrechen nachgewiesen worden war, dann galten damit auch die anderen Verbrechen, die ihm vorgeworfen wurden, als erwiesen. Diese Versammlung konnte jeder aus dem Volk einberufen und seine Anklage vorbringen. So genügte es, einem Christen ein Verbrechen nachzuweisen, um die Folgen alle Christen spüren zu lassen. Sie wurden des Inzests (wegen der Anrede untereinander als “Bruder” oder “Schwester”) oder des Mordes verurteilt, enthauptet, verbrannt, zum Tierkampf in die Arena geschickt oder zur Zwangsarbeit verurteilt. Weibliche Christen zwang man ins Bordell.

Coercitio waren Maßnahmen gegen die Christen, die nur dem Prokurator vorbehalten waren, auch das Fällen der Todesstrafe stand nur den Prokuratoren zu. Sie bestimmten das Strafmaß. Die staatspolizeiliche Befugnis war nicht an Prozesse gebunden, die Christen waren der behördlichen Willkür ausgeliefert. Je nach Einstellung des Prokurators wurde mehr oder weniger gegen die Christen vorgegangen. Ein planmäßiges oder systematisches Vorgehen war dies also nicht.

Es stellt sich die Frage nach der Offenbarung des Johannes, der Apokalypse (eine redaktionelle Zusammenfügung aus verschiedenen Texten), in der die Rede von grausamen Verfolgungen ist. Wenn erst unter Diokletian (284-305) ausgedehnte Christenverfolgungen stattfanden, müßte die Offenbarung demnach erst am Ende des 3.Jahrhunderts geschrieben worden sein.

Der Kirchengeschichtler K.D. Schmidt: es gab immer die Möglichkeit, daß Christen in einen Konflikt mit der Polizei geraten konnten, doch sie war gering. Er und auch andere belegen: “Märtyrer” war eine Ehrenbezeichnung (“Zeuge”), die nach dem Tode verliehen wurde und eine Aussage über den Lebenswandel und nicht über das Sterben war.

Weshalb ist das Märchen der pausenlosen Verfolgungen so attraktiv, das blutrünstige Bild so stark? Die Christenverfolgungen mit den Grausamkeiten, die erzählt werden, entsprechen nicht der Wirklichkeit. Doch dies ist eine auch in anderen Religionen beliebte Art und Weise, auf sich aufmerksam zu machen: als Verfolgte, Opfer und dennoch am Glauben Festhaltende. Je mehr Märtyrer, desto auserwählter die Organisation. Die Schwere, die durch die Erzählung dieser Blutbäder entsteht, blockiert jedes Denken und lenkt den Blick ab von anderen Entwicklungen einer Religion (siehe dazu die “Kriminalgeschichte des Christentums” von Karlheinz Deschner).